Berlin, den 27.07.2022. Laut Auswertung der Ersatzkassen sind die Eigenanteile, die Pflegebedürftige für die Kosten ihrer stationäre Pflege übernehmen müssen, erneut gestiegen. Dazu erklärt Brigitte Döcker, Vorstandsvorsitzende des AWO Bundesverbandes:
„Die erneute Steigerung ist für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen eine Katastrophe, aber sie überrascht nicht. Trotz der Warnungen von Sozial- und Wohlfahrtsverbänden und anderslautender Versprechungen konnte sich die letzte Bundesregierung weder zu einer Begrenzung der Eigenanteile in der Höhe noch in der Dauer durchringen, sondern lediglich zu einem gestaffelten Zuschuss zu den Eigenanteilen. Dass diese nicht ausreichen, das Problem zu lösen, haben nahezu alle Expert*innen vorher gesagt. Die Zahlen der vdek bestätigen das nun. Die Eigenanteile steigen weiter. Dabei sind die wirklich kostenträchtigen Reformen der Pflegeversicherung, eine tarifangelehnte Bezahlung und mehr Pflegepersonal noch gar nicht umgesetzt, sondern kommen erst zum Ende dieses bis Mitte nächsten Jahres. Was das für die Entwicklung der Eigenanteile bedeutet, ist leicht vorherzusehen.“
Bereits 2019 hatte die AWO eine Petition zur Begrenzung der Eigenanteile gestartet, die innerhalb weniger Wochen über 74 000 Unterschriften erhielt und es dann bis zu einer Anhörung im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags schaffte. Aufgegriffen wurde trotz der Dringlichkeit keine der in der Petition geforderten Maßnahmen. Döcker: „Im Koalitionsvertrag der Ampel steht zu den Eigenanteilen lediglich, dass man die Entwicklung beobachten und prüfen werde. Mit den Daten der Ersatzkassen ist dies nun geschehen und die Regierung sollte schnell handeln, bevor die Eigenanteile weiter ins Unbezahlbare steigen und pflegebedürftige Menschen und deren An- und Zugehörige über Gebühr belasten. In diesem Zusammenhang müssen auch schnellstmöglich die steigenden Ausgaben der Pflegeversicherung durch eine angemessenen Finanzausstattung und entsprechende Gestaltung der Einnahmeseite sichergestellt werden.“
Adäquate Mittel hierzu sind: die Refinanzierung der versicherungsfremden Leistungen aus Steuermitteln, die Übernahme der Behandlungspflege in stationären Einrichtungen durch die Krankenkassen sowie Beitragssteigerungen. Ausreichen werden diese aber nicht. Aus Sicht der AWO sind daher weitere Maßnahmen notwendig, wie z. B. die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze auf das Niveau in der Rentenversicherung und die verbindliche Übernahme der Investitionskosten durch die Länder, wie es bei der Konstruktion der Pflegeversicherung eigentlich vorgesehen war. Darüber hinaus setzt sich die AWO seit Jahren für eine Erweiterung der Einnahmebasis im Umlagesystem ein, in dem alle Berufsgruppen in die Soziale Pflegeversicherung einzahlen und alle Einkünfte verbeitragt werden.
„Die Prüfung, ob die soziale Pflegeversicherung um eine freiwillige, paritätisch finanzierte Vollversicherung zu ergänzen ist, die die Übernahme der vollständigen Pflegekosten umfassend absichert, ist aus unserer Sicht bereits mit einem eindeutigen „Ja“ beantwortet“, so Döcker, „Wobei es hier nicht um eine ergänzende Säule der Sozialen Pflegeversicherung gehen kann, sondern nur um den Umbau der Sozialen Pflegeversicherung in Richtung einer paritätisch finanzierten Vollversicherung. Ansonsten droht eine Zwei-Klassen-Pflege.“
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Die Arbeiterwohlfahrt gehört zu den sechs Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege. Sie wird bundesweit von über 300.000 Mitgliedern, mehr als 72.000 ehrenamtlich engagierten Helfer*innen und rund 242.000 hauptamtlichen Mitarbeiter*innen getragen.
Quelle: AWO-Bundesverband e.V.